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Verfassungsgericht Karlsruhe verbietet Abschuss entführter Flugzeuge

Das Bundesverfassungsgericht hat die entscheidende Passage des umstrittenen Luftsicherheitsgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Es hätte den Verteidigungsminister zum Abschuss eines von Selbstmordattentätern entführten Zivilflugzeuges ermächtigt.

Karlsruhe - Damit hatte die Verfassungsbeschwerde der früheren FDP-Spitzenpolitiker Burkhard Hirsch und Gerhart Baum sowie weiterer vier Beschwerdeführer im entscheidenden Teil Erfolg. Sie hatten das Anfang 2005 in Kraft getretene Luftsicherheitsgesetz als Preisgabe fundamentaler Rechtssätze kritisiert.

Die Abschussermächtigung verstößt nach dem Urteil des Ersten Senats unter Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier gegen die verfassungsrechtliche Einschränkung des Bundeswehreinsatzes im Inneren. Das Grundgesetz beschränke diesen auf Hilfe bei Naturkatastrophen sowie schwere Unglücksfälle und erlaube nicht den Einsatz militärischer Waffen. Diese Voraussetzung sei in dem angegriffenen Punkt des Luftsicherheitsgesetzes nicht erfüllt.

Das noch unter Rot-Grün vom damaligen Innenminister Otto Schily eingebrachte Gesetz sah als letzte Möglichkeit vor, zur Abwehr eines Terroranschlags im Extremfall auch ein voll besetztes Passagierflugzeug abzuschießen, wenn nur so das Leben anderer Menschen gerettet werden kann. Die Kläger hielten eine derartige Abwägung - Leben gegen Leben - für einen Verstoß gegen die Grundrechte auf Leben und auf Menschenwürde. Dem folgten die Richter insofern, als sie den Schutz der Menschenwürde für strikt und einer Einschränkung nicht zugänglich erklärten.

Politisch brisant ist auch, dass die Richter einen Verstoß gegen die Beschränkung der Bundeswehraufgaben im Inneren sahen. "Der Einsatz der Streitkräfte zu anderen Zwecken als zur Verteidigung ist nach geltendem Verfassungsrecht an enge Voraussetzungen gebunden", betonte Papier in der Urteilsverkündung.

Vor allem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein bayerischer Amtskollege Günter Beckstein (CSU) dringen seit geraumer Zeit auf einen Einsatz der Bundeswehr auch zur Sicherung der Fußball-Weltmeisterschaft, den SPD, Grüne und FDP dagegen strikt ablehnen. In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD im Bund vereinbart, nach dem Karlsruher Urteil zum Luftsicherheitsgesetz die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung zu prüfen.

Schönbohm und Beckstein für Grundgesetzänderung

Beckstein, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) fordern jetzt eine Änderung des Grundgesetzes. Ein präventiver Einsatz der Bundeswehr müsse verfassungsrechtlich möglich sein, sagte Beckstein auf dem europäischen Polizeikongress in Berlin. Beckstein ist derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz.

Schönbohm fügte hinzu, dass der im Grundgesetz vorgesehene Spannungs- und Verteidigungsfall, der einen Bundeswehreinsatz im Inneren ermöglicht, kaum noch wahrscheinlich sei. Daher müsse die Verfassung geändert werden, damit die Bundeswehr schon zur Abwehr einer terroristischen Bedrohung herangezogen werden könne.

"Ich kenne niemanden, der die Bundeswehr zu einer Billigpolizei machen will", betonte Beckstein. Doch gerade nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts werde eine "klare Rechtsgrundlage" gebraucht, um die Fähigkeiten der Streitkräfte auch zum Schutz der Bevölkerung einsetzen zu können. Hier sei in den vergangenen Jahren eine "falsche Weichenstellung" erfolgt: "Der Schutz von Hannover und Hindelang hat Vorrang vor dem Schutz der Sicherheit am Hindukusch", hob der CSU-Politiker hervor. Die Entscheidung der Karlsruher Richter habe gezeigt, dass eine "mutige Auslegung des Grundgesetzes" nicht genügt, um die notwendige Rechtssicherheit für einen Einsatz der Streitkräfte bei der Abwehr von Gefahren aus der Luft zu schaffen", sagte Beckstein.

Schönbohm räumte ein, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr notwendig seien. Aber es müsse darauf geachtet werden, dass die deutschen Interessen nicht nur "im Himalaya oder Katmandu" verteidigt werden, sondern in erster Linie in der Bundesrepublik selbst. Daher werde eine "rechtliche Klarstellung im Grundgesetz gebraucht. Der Schutz der eigenen Bevölkerung müsse Vorrang haben. Denn, so fügte Schönbohm hinzu, "in der Katastrophe können wir nicht Laienschauspieler zusammenbringen".

Auch Stoiber forderte eine Änderung des Grundgesetzes. "Gut drei Monate vor der Weltmeisterschaft in Deutschland muss hier jetzt Klarheit geschaffen werden", sagte Stoiber.

Ähnlich argumentierte Hamburgs Innensenator Udo Nagel. Jetzt sei der Bundesgesetzgeber gefordert. Denn eine von Schäuble angeregte Abordnung von Soldaten zur Bundespolizei sei zwar "praktikabel, aber rechtlich kaum zulässig".

AZ: 1 BvR 357/05 - Urteil vom 15. Februar 2006

lan/hen/AP/ddp