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Interview mit Wildtier-Forscher "Bruno war ein Halbstarker"

Bruno - ein Problembär? Von wegen! Ein freches Jungtier sei er gewesen, sagt Hans-Peter Sorger. SPIEGEL ONLINE sprach mit dem österreichischen Wildtier-Verhaltensforscher über die Fehler, die seiner Ansicht nach bei der Jagd auf Bruno gemacht wurden, und warum er noch leben sollte.

SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie von Brunos Tod erfahren?

Sorger: Heute Morgen um sechs Uhr bekam ich eine SMS. Die Nachricht hat mich nicht wirklich überrascht. Der Bär war für mich in dem Moment tot, als sich Politiker eingemischt und sogenannte Bärenexperten sich hinter das Todesurteil gestellt haben. Die Sache ist dann schnell zu einem Politikum geworden. Und ein wenig kann ich die Minister ja auch verstehen. Sie wollten sich einfach gegen den Vorwurf schützen, nichts getan zu haben.

SPIEGEL ONLINE: Was war Bruno für einer?

Sorger: Bruno war ein Halbstarker, ein kecker Jungbär, einer, der seine Grenzen austestete. Und wenn wir solche Typen nicht hätten, wäre nach der Ausrottung nie wieder ein Bär nach Österreich gekommen. Seine Mutter Jurka hat Bruno vertrieben, um zu vermeiden, dass sie sich irgendwann paaren. Diesen Riegel schiebt die Natur vor. Bruno ist dann Hunderte Kilometer gelaufen, um sich ein Revier zu suchen. Kein Wunder, dass er sich dabei auch menschlichen Siedlungen genähert hat - als Ortsunkundiger.

SPIEGEL ONLINE: Aber warum hat er so viele Schafe gerissen?

Sorger: Aus ökonomischen Gründen. Es ist doch einfacher, ein Schaf auf der Weide zu töten als im Wald einem Reh hinterher zu jagen. Im Übrigen reißt ein Bär normalerweise im Jahr maximal acht Schafe. Weil ihm die Menschen im deutsch-österreichischen Grenzgebiet keine Ruhe gelassen haben, hat er immer wieder zugeschlagen. Von seiner Mutter hatte er außerdem gelernt, nicht zu einem Kadaver zurückzukehren. Sie war mit Gummigeschossen verjagt worden, als sie noch einmal zu einem toten Schaf ging. Das hat sie sich natürlich gemerkt und ihren Jungen weitergegeben.

SPIEGEL ONLINE: Was hätten Bayern und Tirol anders machen müssen?

Sorger: Erstens hätte das Tier schon in Osttirol konditioniert, das heißt scheu gemacht werden müssen. Zweitens hätte die Verantwortlichen ihm einfach die Zeit geben müssen, ein Revier zu finden. Bruno hatte ja gar keine Chance, so wie er gehetzt wurde. Übrigens muss sich Österreich jetzt auf weitere kecke Bären einstellen. Brunos Mutter Jurka hat wieder drei Junge bekommen und die wird sie sicherlich genauso erziehen wie JJ1.

SPIEGEL ONLINE: Nur knapp fünf Stunden, nachdem Bruno wieder zum Abschuss freigegeben worden war, wurde er tatsächlich erschossen. Warum haben das die finnischen Bärenjäger nicht geschafft?

Sorger: Das mit den Bärenjägern aus Finnland war absoluter Unsinn. Weder das Team noch die Hunde sind an unsere gebirgige Landschaft oder an unsere Temperaturen gewöhnt. Die waren doch nach hundert Metern fertig. Kein Wunder, dass sie Bruno nicht gestellt haben.

SPIEGEL ONLINE: In Österreich leben bis zu zwanzig Bären. Wie geht die Bevölkerung damit um?

Sorger: Seit 1987 organisieren wir ständig Vorträge. Im Rahmen dieser wird über den grundsätzlichen Umgang mit dem Wildtier informiert. Anschließend diskutieren wir. Das fehlte in Deutschland meines Erachtens völlig. Viele Kärntner hatten schon direkten Kontakt mit Bären. Das ist hier nichts Besonderes.

SPIEGEL ONLINE: Wie oft sind Sie schon Bären begegnet?

Sorger: In den vergangenen knapp 20 Jahren bin ich bestimmt mehr als 300 Mal auf einen Bären getroffen. 40 Mal konnte ich sie aus allernächster Nähe beobachten. Und immer ist der Bär abgehauen.  

Das Interview führte Andrea Kinzinger