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Neutrino-Experiment: Messfehler statt Rekordgeschwindigkeit?

Foto: CERN

Neutrino-Experiment Loses Kabel blamiert Teilchenphysiker

Können manche Elementarteilchen schneller als das Licht reisen? Das legte ein spektakuläres Experiment aus dem vergangenen Jahr nahe. Doch nun zeigt sich: Bei der Messung gab es mehrere Fehler - unter anderem verfälschte offenbar ein loses Kabel die Ergebnisse.

Berlin - Der Wert ist eine der entscheidenden Grundlagen unserer Welt: 299.792.458 Meter in der Sekunde. Mit dieser Geschwindigkeit bewegt sich das Licht im Vakuum - und schneller ist nichts. Soweit jedenfalls lautet nach Einstein die gängige Theorie. Immer wieder einmal sorgen jedoch Beobachtungen für Aufregung, bei denen eben doch höhere Werte gemessen wurden. Doch nie ließen sich die Ergebnisse unwiderlegbar reproduzieren.

Im vergangenen Jahr hatten dann aber die Wissenschaftler des internationalen "Opera"-Projekts für Furore gesorgt. Sie wollten überlichtschnelle Neutrinos gesichtet haben. Die winzigen Elementarteilchen - extrem leicht und ohne elektrische Ladung - waren auf einer Messstrecke von den Alpen in die Abruzzen gewissermaßen in eine Radarfalle getappt; die Aufregung in der Forschergemeinschaft war groß - zumal eine zweite Messung die Ergebnisse zu bestätigen schien. Sollte Einstein sich getäuscht haben? Allein diese Vermutung, so hieß es damals, grenze ja bereits an Gotteslästerung. Andererseits arbeitet die Physik genau so: Wenn geprüfte Messergebnisse alten Theorien widersprechen, dann müssen eben neue Theorien her.

Nun gibt es aber große Zweifel an den Messungen vom vergangenen Jahr. "Wir haben es gestern Abend erfahren", bestätigt Cern-Sprecher James Gillies im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die "Opera"-Forscher hatten das Europäische Kernforschungszentrum in Genf informiert, dass es offenbar mehrere Messfehler gegeben hat. "Einer von ihnen könnte dafür gesorgt haben, dass die Geschwindigkeit überschätzt wurde und ein anderer dafür, dass sie unterschätzt wurde", sagt Gillies.

Nächster Neutrinostrahl könnte vorgezogen werden

Die Konfusion ist also groß, die Ergebnisse der ersten beiden Messungen müssen massiv in Zweifel gezogen werden. Ein Neutrinostrahl war bei dem Experiment vom Cern in Genf ins 730 Kilometer entfernte Gran-Sasso-Laboratorium in Italien geschickt worden. Damals hieß es, rund 15.000 Neutrinos hätten die Strecke von der Schweiz nach Italien 60 Nanosekunden schneller hinter sich gebracht, als es die Lichtgeschwindigkeit zuließe. "Wenn sich diese Messungen bestätigen, könnte das unsere Auffassung von der Physik ändern", erklärte der wissenschaftliche Leiter des Cern, Sergio Bertolucci damals.

Doch danach sieht es wohl nicht aus: Das Online-Magazin "ScienceInsider" des US-Wissenschaftsverbands AAAS hatte am Mittwoch über ein angeblich loses Glasfaserkabel berichtet, das zu Messfehlern geführt haben soll. Für die Zeitmessung wurde auf ein GPS-Signal zurückgegriffen. Und das Kabel zur Übertragung dieses Signals zu einem "Opera"-Computer sei offenbar lose gewesen, so der "ScienceInsider". Das Magazin beruft sich auf ungenannte Quellen aus dem Umfeld des Experiments.

Nach Cern-Angaben gibt es noch eine zweite mögliche Fehlerquelle. In diesem Fall geht es um ein Problem an einem sogenannten Intervallzähler. Der soll eigentlich dabei helfen, die GPS-Messungen genauer zu machen.

Eine neue Messung soll nun beide Probleme berücksichtigen. Ihre Ergebnisse könnten darüber entscheiden, ob die überlichtschnellen Neutrinos von "Opera" eben doch nicht mehr waren als eine kurze Kuriosität der Physik - oder ob Einstein am Ende doch Probleme bekommt. Die erste Variante dürfte freilich wahrscheinlicher sein.

Wann es zu einem neuen Versuch kommt, ist bislang noch nicht klar - allzu lange dürfte es aber nicht mehr dauern. "Nach dem bisherigen Plan sollte der nächste Neutrinostrahl im Mai gesendet werden", sagt Cern-Sprecher Gillies. "Angesichts der aktuellen Ereignisse könnte man das aber auch ändern."

Nach den ersten Experimenten hatte die Experimentalphysikerin Caren Hagner von der Universität Hamburg, die ebenfalls in Genf mitforscht, bereits gewarnt: "Kabelprobleme oder menschliche Messfehler - so etwas kann passieren." Es sieht danach aus, als könnte sie recht behalten.