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Panne bei Neutrino-Experiment Mister Überlichtschnell gibt sein Amt auf

Die Entdeckung scheinbar überlichtschneller Neutrinos hat Physiker in Aufregung versetzt, weltweit Schlagzeilen gemacht - und entpuppte sich als Produkt einer peinlichen Panne. Jetzt ist der Leiter des Experiments zurückgetreten.
Antonio Ereditato (rechts) mit Kollegen Dario Auterio: Rücktritt als "Opera"-Chef

Antonio Ereditato (rechts) mit Kollegen Dario Auterio: Rücktritt als "Opera"-Chef

Foto: FABRICE COFFRINI/ AFP

Immerhin, er geht noch ans Telefon. Auch wenn er dann nicht allzu viel sagen mag. Der Apparat von Antonio Ereditato am Laboratory for High Energy Physics (LHEP) an der Universität im schweizerischen Bern klingelt an diesem Freitag beinahe ohne Pause. Zahlreiche Journalisten versuchen, den Physiker zu erreichen. Und jedes Mal sagt er seinen Gesprächspartnern dann mit freundlicher Stimme so etwas wie: "Ja, das stimmt. Darüber hinaus aber: kein Kommentar."

Bis zum Donnerstag war der Italiener Sprecher eines wichtigen internationalen Physiker-Konsortiums, in dem Forscher aus einem guten Dutzend Ländern zusammenarbeiten. Doch nun hat er den Chefposten bei der "Opera Collaboration" überraschend niedergelegt.

Dass die Personalie für solch großes öffentliches Interesse sorgt, liegt an Forschungsergebnissen, die Ereditato im Namen seiner Kollegen verkündet hatte. Es ging um Neutrinos, extrem massearme Elementarteilchen ohne elektrische Ladung. Rund 15.000 von ihnen waren von den "Opera"-Leuten vergangenes Jahr beim Flug mit Überlichtgeschwindigkeit gemessen worden. Angeblich. Es war zwar nur eine Zeitdifferenz von 60 Nanosekunden in Vergleich zum Licht. Doch das wäre nicht weniger als eine wissenschaftliche Sensation gewesen, die Einsteins Relativitätstheorie in ihren Grundfesten erschüttert hätte.

Wäre da nur nicht dieses vermaledeite Glasfaserkabel gewesen. Denn solch eine Verbindung hatte man offenbar nicht richtig befestigt, als die Forscher die Neutrios in einem Labor tief im Inneren des italienischen Gran-Sasso-Massivs vermaßen. Losgeschickt worden waren sie von einer genau 731,278 Kilometer entfernten Quelle am europäischen Kernforschungszentrum Cern am Stadtrand von Genf in der Schweiz. Das Kabel war eine der möglichen Fehlerquellen, die dafür sorgten, dass die Neutrinos scheinbar schneller flogen als das Licht. Ein anderes Experiment bestätigte wenig später: Die Neutrios können Einstein eben doch nichts anhaben.

Das Gesicht zur peinlichen Nachricht

Die Wissenschaftler hatten ihre Ergebnisse von Anfang an kritisch betrachtet. Zu verblüffend war der vermeintlich beobachtete Effekt. Doch das öffentliche Interesse war so groß, dass der Fund des Fehlers schließlich - wohl zu Unrecht - wie das Eingeständnis einer Schludrigkeit wirkte. Dabei funktioniert Wissenschaft nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Doch Ereditato hatte die Ergebnisse nach außen hin präsentiert - und war damit das Gesicht der Blamage.

Innerhalb der "Opera Collaboration" kam es zu einer Abstimmung, wie es mit dem Mann an der Spitze weitergehen solle. Beim Istituto Nazionale Fisica Nucleare (INFN), dem Betreiber des Gran-Sasso-Labors, ist zu hören, dass sich dabei zwar keine klare Mehrheit gegen Ereditato ergeben hätte. Allerdings sei ein Riss durch die Forschergruppe gegangen. Und daraufhin habe der Italiener sein Amt aufgegeben.

Den Entschluss gab Ereditato in einer E-Mail an seine Kollegen bekannt. Deutsche Forscher, die in dem Verbund mitarbeiten, waren am Freitagnachmittag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. INFN-Vizechef Antonio Masiero erklärte immerhin, man hoffe auf "Einigkeit und eine neue Führung" bei der "Opera Collaboration".

Die Forscher haben in der Tat einiges zu tun, schließlich soll Ende April ein neuer Neutrinostrahl nach Italien geschickt werden, um die Geschwindigkeit der Neutrios noch einmal zu bestimmen. Und diesmal hoffentlich richtig. Seinen Posten an der Universität Bern will Ereditato übrigens behalten. Wohl auch in der Hoffnung, dass bald wieder Ruhe einkehrt.