Mahlzeit!

Der Mythos vom weißen Gift

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Salzarme Kost ist so unerfreulich wie versalzenes Essen, so Udo Pollmer. © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Udo Pollmer · 18.09.2015
Aus dem weißen Gold sei ein tödliches Gift geworden. Es sei überall verfügbar und spottbillig. Experten sagen: Weltweit sterben jedes Jahr 1,65 Millionen Menschen an den Folgen von zu viel Salz. Lebensmittelchemiker Udo Pollmer neigt zu einer Gegenrechnung.
Auf den Kanarischen Inseln wurden unlängst zwei Ärzte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten bei einer Patientin eine Wasservergiftung nicht erkannt. Die junge Frau hatte sich vorher vier Liter Wasser genehmigt – bei der Analyse des Blutes wurde ein Natriummangel festgestellt, dennoch unterblieb die lebensrettende Gabe von Salz. Wasservergiftungen sind inzwischen durch die Aufforderung, viel zu trinken und nur knapp zu salzen, keine Seltenheit.
Unbeeindruckt kämpfen viele Ärzte für eine Senkung der Salzzufuhr. Die gängige Erklärung lautet: Salz bindet das Wasser im Körper, dem Herzen falle es schwerer, dagegen anzupumpen, und der Blutdruck steige. Das erhöhe das Risiko für Schlaganfall und Herzversagen und damit für einen frühzeitigen Tod. Wenn das stimmt, dann ist im Ozean nur deshalb soviel Wasser, weil es vom Meersalz gebunden wird und nicht mehr abfließen kann.
Salz bindet Wasser – im Salzstreuer
Wenn salzige Nahrung genügt, um den Wasserstand im Körper zu erhöhen, dann wäre die direkte Zufuhr von einer Flasche Mineralwasser erst recht ein riskanter Akt, denn das Wasser geht nun mal ins Blut. Ja, Salz bindet Wasser – im Salzstreuer. Es bindet Wasser in wasserarmen Lebensmitteln wie Chips, Salami oder Parmesan, sodass es Verderbniserreger nicht verwerten können. Das erhöht die Haltbarkeit.
Aber unser Körper ist kein Salzstreuer und auch keine Pökelware! Er geht mit jedem Natrium-Ion aus dem Salz um wie mit einem rohen Ei, er hat ausgefeilte hormonelle Regelmechanismen, um das Natrium im Blut, in jeder einzelnen Zelle, ja sogar in den Zellzwischenräumen präzise zu kontrollieren. Die Nieren benötigen Salz, um das Wasser ausscheiden zu können. Ein Mangel an Salz bewirkt also, dass die Flüssigkeit im Gewebe bleibt. Kann das Wasser mangels Natrium nicht ausgeschieden werden, kommt es zum Lungen- oder Hirnödem – die schnell zum Tode führen. Es passiert also exakt das Gegenteil dessen, was allerorten gepredigt wird.
Doch der Mythos vom "weißen Gift" im Essen lebt indessen fröhlich weiter. Da längst bekannt ist, dass eine salzarme Kost für die meisten Menschen nutzlos bis schädlich ist, wurden die Daten zum Salz bisher mit Methoden erhoben, die sich beliebig manipulieren lassen. Beispielsweise wird nicht der Natriumgehalt im Blut, sondern im Urin gemessen, was nur begrenzt Aussagen über die Salzzufuhr erlaubt – man denke nur an den salzigen Schweiß, der nicht erfasst wird. Oder man fragt die Patienten nach ihrem Speiseplan und schätzt aus diesen Angaben mit Faustzahlen die Salzzufuhr. Daher rührt die Behauptung vieler Studien, je mehr Salz im Essen, desto größer die Gefahr.
Ein drittes Merkmal betrügerischer Studien ist das Unterschlagen der Sterblichkeit. Wer die Todesfälle durch Infarkt oder Schlaganfall ermittelt, wertet dazu alle Totenscheine aus. Entscheidend ist aber, wie viele Menschen insgesamt durch eine therapeutische Maßnahme gestorben sind und nicht nur am Infarkt. Wer diese Daten zwar erhoben hat, aber dann nicht mitteilt, hat meist keine ehrlichen Absichten. Deshalb fehlten bei Studien zum Salz genau diese Angaben.
Ausreichend Salz im Essen rettet Leben
Damit sind die Maßstäbe klar: Der Natriumstatus sollte im Blut und nicht im Urin erfasst werden und auch die Anzahl der Todesfälle sollte nicht fehlen. Eine solche Studie wurde dieser Tage veröffentlicht - prospektiv mit 3.000 gesunden älteren Herren, die elf Jahre lang beobachtet wurden. Ergebnis: Je weniger Natrium im Blut, desto mehr Herzinfarkte und Schlaganfälle. Irritierend war: Bereits "normale" Natriumspiegel waren mit einem erhöhten Infarkt-Risiko verknüpft, wenn sie im unteren Normbereich lagen! Insgesamt starben im unteren Normalbereich (135 mmol/l) fast doppelt so viele Menschen wie beim mittleren Wert (140 mmol/l). Die Gefahren von zu wenig Salz wurden in den letzten Monaten gleich von mehreren Studien aus aller Welt bestätigt.
Doch die Fachöffentlichkeit und die sonst so beredte Gesundheitsaufklärung schweigen fein stille. Deshalb in aller Deutlichkeit: Ausreichend Salz im Essen rettet Leben. Salzarme Kost ist so unerfreulich wie versalzenes Essen. Mahlzeit!

Literatur:
Rada AG: Two doctors sentenced in Canary Islands for failing to treat woman with hyponatraemia. BMJ 2015;351:h4016
Witte F: Ernährung: Wie viel Salz darf es sein? Spiegel Online 03.04.2015
Blage J: Volksproblem Salz - Wenn aus dem weißen Gold Gift wird. Focus online 07.09.2014
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